Ein Plädoyer für den „friedlichen Dissens“

Große Projekte – ob Straßennetzerweiterungen oder Schienenstrecken, bei Flughäfen oder für Stromleitungen, aber auch als neue Stadtteile – kann man sich offenbar ohne Konflikte gar nicht mehr vorstellen. Dabei vermischen sich Wertekonflikte (warum überhaupt?) mit Interessen- und Sachkonflikten (wie anders?) bis hin zu Meinungskonflikten, wie sie mittlerweile die Gesellschaftsbereiche als gutes Recht Aller durchdringen.

Angesichts dessen schien das neue Jahrhundert ein Zeitalter der Mediation zu werden: durch einprägsame Metaphern („Win-Win“) befeuert, durch unzählige Ausbildungsschienen als Berufsfeld er- und beworben, durch spektakuläre, medial verbreitete Mediationsverfahren begründet.

Und dann ist es still geworden, zumindest bei der Mediation im „öffentlichen Raum“, also bei großen Verkehrs- und Entwicklungsprojekten. Denn es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es Vorhaben gibt, bei denen Gewinner und Verlierer unvermeidlich sind. Das führt zur Frage, wie Gewinner gemäßigt und Verlierer gewürdigt und allenfalls entschädigt werden können, wenn Konflikte nicht zu einem Konsens transformierbar sind. Auf dem Weg zu einem lebbaren „Konfliktresiduum“ helfen natürlich Mediationskompetenzen, es verlagert sich nur das Verfahrensziel Konsens. Radikaler hat das der früh verstorbene Peter Cerwenka formuliert: „Konsens ist Nonsens“. Weniger plakativ ginge es um hilfreiche Methoden und Instrumente für das realistische Ziel eines friedlichen Dissenses, in Würdigung differenzierter Konfliktformen, die nur teilweise – wie Wertekonflikte – „behandelbar“ sind.

Wenn die methodischen Prinzipien des Harvard-Konzeptes bei der Konfliktbehandlung weiterhin gelten, wie

  • „Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln,
  • sich auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen,
  • Entscheidungsmöglichkeiten (Optionen) zum beiderseitigen Vorteil entwickeln,
  • auf der Anwendung neutraler Beurteilungskriterien bestehen“,

so ist zumindest das dritte Prinzip – die Sache nach „beiderseitigen Vorteilen“ durch eine realistischere Handlungsanleitung zu ersetzen. Darüber gilt es nachzudenken.